Von der Erwartung eines tausendjährigen Friedensreiches auf Erden (Chiliasmus, Prämillenialismus, Dispensationalismus)
PDF-Version unten
Immer wieder hört man von evangelikalen Christen, dass Jesus Christus wiederkommen und ein tausendjähriges Friedensreich auf Erden aufrichten werde, in dem es keine innere und äußere Bedrohung mehr durch Bosheit und Feinde geben würde, denn die wären vernichtet. Erst nach den tausend irdischen Friedensjahren würden die Toten auferstehen und das Jüngste Gericht gehalten. Man beruft sich dabei auf Kapitel 20 der Offenbarung des Johannes und verbindet dieses vor allem mit Worten des Propheten Jesaja.
Solche Auslegung gab es vereinzelt in der frühen Kirchengeschichte ist dann aber im 19. Jahrhundert in Sondergemeinschaften wieder aufgetaucht. Sie läßt entscheidende Gesichtspunkte und Auslegungsregeln außer acht. Dem Verständnis eines kommenden tausendjährigen Friedensreiches auf Erden widersprechen das evangelisch-lutherische Bekenntnis, das evangelisch-reformierte Bekenntnis und auch die Römisch-katholische Kirche.
Die Offenbarung des Johannes ist die Niederschrift von Visionen, die dem Johannes durch den auferstandenen, zur Rechten Gottes sitzenden Christus zuteil geworden sind. Sie beinhalten eine Fülle von umschreibenden Bildern, die bewusst nicht wörtlich, sondern symbolisch verstanden werden wollen. Die Offenbarung soll ein Buch des Trostes für die verfolgte Gemeinde aller Zeiten sein. Sie redet vom endgültigen Sieg Jesu Christi über die satanischen Mächte und von der kommenden Ewigkeit und Herrlichkeit Gottes. Doch kann die symbolische umschreibende Bildsprache der Offenbarung vielfach nicht eindeutig und zuverlässig entschlüsselt werden. Da lässt Gott etliches und genaueres verhüllt. Wie uns der Apostel Paulus schreibt (1. Kor. 13, 12): „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ Bei dieser Sachlage kann nun nicht ein bestimmtes Bild der Offenbarung herausgegriffen und ausgerechnet für dieses ein wortwörtliches Verständnis eingefordert werden. Man wird doch auch zum Beispiel Offenbarung 21, 6 nicht so wörtlich verstehen wollen, dass Gott uns in der Ewigkeit einen Becher mit frischem Quellwasser für unseren Durst reichen werde.
Zu berücksichtigen ist auch, dass die Offenbarung des Johannes zu den „Antilegomena“ gehört. Das sind Schriften, die nicht in allen christlichen Gemeinden des zweiten Jahrhunderts zur Zeit der Kanonbildung bekannt waren. Oder auch, dass diese von einigen Gemeinden bewusst im Gottesdienst nicht verlesen wurden, weil man Zweifel an ihrem apostolischen Ursprung hatte. Die Antilegomena sind sozusagen unter einem gewissen Vorbehalt in den biblischen Kanon aufgenommen worden.
Aufgrund der nicht eindeutigen umschreibenden symbolischen Bildersprache und des zweifelhaften Status als Antilegomena kann man allein mit den Worten der Offenbarung des Johannes keinen Glaubenssatz begründen, wenn er sich nicht auch noch anderweitig im Neuen Testament finden und begründen lässt. In den Evangelien wie auch in der Apostelgeschichte und den Briefen finden wir aber keine Aussage, dass Jesus zunächst zum Aufrichten eines tausendjährigen Friedensreiches auf Erden wiederkommen werde, sondern dass er unmittelbar zum Gericht kommen wird. Von der Verheißung eines „irdischen Zwischenreiches von tausend Jahren“ ist außerhalb der Offenbarung nirgendwo im Neuen Testament die Rede. Ganz im Gegenteil, Jesus kommt den Sehnsüchten und Erwartungen der Juden und auch seiner Jünger nicht nach, nämlich sich zum irdischen König zu machen und für Israel ein irdisches Reich aufzurichten (Lk. 17, 21). Statt dessen spricht Jesus (Joh. 18, 36): „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Und dieses Wort Jesu behält Gültigkeit! Es schließt ein zukünftiges tausendjähriges Reich Christi auf Erden aus.
Die evangelikale Erwartung eines irdischen tausendjährigen Reiches mit Christus als König entspricht den falschen jüdischen Erwartungen zur Zeit Jesu. Jesu Worte aber sind einfach und eindeutig. Nach den Bedrängnissen der letzten Zeit („Geburtswehen“ vor der Ewigkeit) wird Jesus am Jüngsten Tag zum Gericht über die dann Lebenden und die auferstandenen Toten kommen. Die Seinen wird er eingehen lassen zu seiner Herrlichkeit und die anderen zur Verdammnis (Mt. 24 – 25). Darauf sollen wir vorbereitet sein. In der Augsburgischen Konfession, der ersten Bekenntnisschrift der evangelisch – lutherischen Kirche, heißt es in Artikel 17: Es wird gelehrt, dass unser Herr Jesus Christus am Jüngsten Tag kommen wird, um zu richten und alle Toten aufzuerwecken, den Gläubigen und Auserwählten ewiges Leben und ewige Freude geben, die gottlosen Menschen aber und die Teufel wird er in die Hölle und zur ewigen Strafe verdammen. Deshalb werden die jüdischen Lehren verworfen, die sich auch gegenwärtig ausbreiten, nach denen vor der Auferstehung der Toten die Heiligen und Fromme ein weltliches Reich aufrichten und alle Gottlosen vertilgen werden.
Dagegen wird mancher einwenden, dass aber doch auch schon im Alten Testament, besonders in Jesaja 11 und 60 - 65, Worte über ein kommendes Friedensreich des Messias zu finden seien. Doch wie bei der Offenbarung des Johannes und den meisten prophetischen Schriften, so sind auch diese Kapitel Jesajas in prophetischen Bildreden gegeben. Schon beim ersten Vers des Kap. 11 wird klar, dass hier nicht ein realer alter Baumstamm gemeint ist, der nun nochmal wunderbarerweise ausschlägt, sondern im übertragenen Sinne vom kommenden Messias, von Christus, die Rede ist.
Nun ist aber Christus gekommen und die bildhafte Prophetie ist erfüllt! Jesus selbst sagt, dass sich mit ihm die Verheißungen des Propheten Jesaja erfüllt haben (Lk. 4, 21). Der Apostel Paulus schreibt (2. Kor. 1, 20): „Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja.“ Das ganze Alte Testament hat sich in Jesus erfüllt! Ja, mit und durch Jesus wird sogar vielfach der Wortlaut der alttestamentlichen prophetischen Worte „übererfüllt“. Zum Beispiel ist in Jesaja 65, 20 von dem neuen Himmel und der neuen Erde bildhaft prophetisch die Rede: „als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht“. Aber Christus hat uns durch sein Kreuzesopfer nicht nur eine jahrhundertelanges Leben, sondern das ewige Leben in seiner Herrlichkeit erworben und geschenkt. Deshalb müssen wir das Alte Testament mit all seinen Prophetien von seiner Erfüllung her, von Christus her, vom Neuen Testament her lesen, verstehen und auslegen.
Insgesamt ist auch zu berücksichtigen, dass Gott nur selten die prophetischen Worte des Alten Testaments im wörtlich unmittelbaren Sinne erfüllt hat. Meistens hat Gott sie in ganz anderer Weise erfüllt, als es sich die Zeitgenossen gedacht und gewünscht hatten. Aufgrund der alttestamentlichen bildhaften Prophetie erwarteten und wünschten sich die Juden das Kommen eines irdischen Messias, eines Christuskönigs mit einem irdischen Reich. Gesandt hat Gott aber keinen weltlich mächtigen menschlichen König, sondern seinen eigenen Sohn, der die Dornenkrone und das Kreuz auf sich genommen hat, aber damit viel mehr, nämlich die Vergebung der Sünden, die Versöhnung mit Gott und das ewige Leben gebracht hat.
Abschließend ist festzustellen, dass es nicht sachgemäß ist, die Offenbarung des Johannes mit Jesaja zu verbinden und auszulegen. Vielmehr ist es sachgemäß die prophetischen umschreibenden bildhaften Worte Jesajas mit dem Kommen Jesu als erfüllt zu verstehen und die bildhaften Worte der Offenbarung des Johannes mit den klaren Worten des Neuen Testaments zu verstehen und auszulegen. Dann bleibt kein Raum mehr für die Behauptung, dass Jesus zunächst zur Königsherrschaft in einem tausendjährigen Friedensreich kommen werde. Statt dessen bietet sich an, unter dem 1000-jährigen Reich Christi die lange Zeit der Gemeinde Jesu Christi von Pfingsten bis zur sichtbaren Wiederkunft des Herrn zu verstehen. In dieser Zeit regiert Christus sein Reich, seine Gemeinde, noch auf unsichtbare Weise.
Detlef Löhde
Auszug aus den Einigungssätzen zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Altpreußens und der Evangelisch-Lutherischen Freikirche (1948):
Mit der Augsburgischen Konfession (XVII) bekennen wir, „dass unser Herr Jesus Christus am Jüngsten Tag kommen wird, zu richten, und alle Toten auferwecken, den Gläubigen und Auserwählten ewiges Leben und ewige Freude geben, die gottlosen Menschen aber und die Teufel in die Hölle und ewige Strafe verdammen wird.“
Diese These schließt in sich Verwerfung des Chiliasmus, nämlich die Verwerfung der Lehren von einer zweifachen Wiederkunft Christi und einer doppelten leiblichen Auferstehung sowie die Annahme , dass „vor der Auferstehung der Toten eitel Heilige und Fromme ein weltlich Reich haben und alle Gottlosen vertilgen werden (Augsb. Konf. XVII § 5).
Die bezeichneten Lehren widersprechen den klaren Stellen der Heiligen Schrift (Matth. 24, 29.30; Hebr. 9, 26-28; Phil. 3, 20.21; Joh. 5, 28.29; Joh. 18, 36; 1. Joh. 3, 2).
Das Reich Christi wird bis an das Ende der Tage ein Reich unter dem Kreuze sein (Apg. 14, 22; Luk. 18, 8; Matth. 24, 11-13).
Die Stelle Offb. 20, auf welche sich die Chiliasten hauptsächlich berufen, ist schon darum, weil sie im Bilde redet, keine selbständige Beweisstelle für die christliche Lehre und darf nicht dazu missbraucht werden, andere eigentlich (direkt) redende Schriftstellen, welche von den letzten Dingen und von dem Reiche Christi handeln, zu verdunkeln, sondern muss nach diesen Stellen unter sorgfältiger Berücksichtigung des Textes und des Zusammenhanges in der Offenbarung selbst erklärt und ausgelegt werden.