Kirchenspaltung vor Gott verantworten
Vom Leib Christi
Der Apostel Paulus schreibt der Gemeinde (1. Kor. 12, 27; Kol. 1, 18): „ Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied. Und Christus ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde1.“ Im Griechischen und Lateinischen kann mit „Leib“ (sóma; corpus) auch eine menschliche Gemeinschaft bezeichnet werden2. Im Deutschen ist die Bezeichnung „Körperschaft“ für den Staat und die Institution der Kirche, wie auch für private Unternehmen gebräuchlich, ja, rechtlich vorgegeben. Das soll zum Ausdruck bringen, hier handelt es sich nicht bloß um eine zusammengewürfelte Ansammlung von Individuen, sondern um eine Einheit, um einen lebendigen Organismus. Dieser Organismus hat viele Gliedern, die im Interesse der gemeinsamen Sache zusammenarbeiten (daher „Organisation“) und von einem „Haupt“ geleitet werden. In dieser Weise hatte sich auch schon der antike Römische Staat verstanden, der von jedem seinen Beitrag erwartete und von einem Princep („dem Ersten“), dem Kaiser, regiert wurde.
Paulus sagt der Gemeinde nun nicht nur, ihr seid wie ein Leib, sondern ihr seid der Leib Christi, ihr seid der Organismus Christi und ER ist das Haupt. „Gott hat den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen“ (Gal. 4, 6) und „Wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft“, 1. Kor. 12, 13). „Ein Leib und ein Geist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ (Eph. 4, 4.5). Kraft des Heiligen Geistes sind wir durch die Taufe Glieder am Leib Christi geworden. Und jedes Glied am Leib Christi hat seine Gaben bekommen und damit seine Aufgaben (1. Kor. 12 – 14).
Der Leib Christi – die Kirche / Gemeinde - ist die sichtbare und doch zugleich verborgene Erscheinungsweise und Gegenwart des auferstandenen Herrn in unserer Zeit und Welt.
Von der Einheit und den Spaltungen
Für Paulus war die Einheit der Gemeinde Jesu Christi Gebot des Herrn und Herzensanliegen3. Die Übereinstimmung mit Petrus, Johannes und Jakobus und der Jerusalemer Gemeinde war ihm wichtig, ja unverzichtbar. Für die Armen der Jerusalemer Gemeinde führt er eine Sammlung bei den neuen heidenchristlichen Gemeinden durch.4 Paulus appelliert und bekennt, Eph. 4, 3-5: „Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie auch ihr berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“ Paulus mahnt und warnt, dass es nicht zu Parteiungen und Spaltungen in der Gemeinde aufgrund persönlicher Anhängerschaften kommt (1. Kor. 1, 10-17): „Lasst keine Spaltungen (griech. „Schisma“)5 unter euch sein... Ich meine aber dies, dass unter euch der eine sagt: Ich gehöre zu Paulus, der andere: Ich gehöre zu Apollos, der Dritte: Ich zu Kephas, der Vierte: Ich zu Christus. Wie? Ist Christus etwa zerteilt? Ist Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen Paulus getauft?“ Es ist bleibende ernste Mahnung des Apostel Paulus, dass persönliche Verbundenheit, Vorlieben oder andererseits persönliche Abneigungen, Eitelkeiten, Egoismus, Streitigkeiten nicht zu Spaltungen in der Gemeinde - im Leib Christi - führen dürfen.
Von berechtigten und gebotenen Trennungen
Im 1. Kor. 11, 19 nimmt Paulus das Thema der Spaltung nochmals unter einem anderen Gesichtspunkt auf, er schreibt: „Denn es müssen ja Spaltungen unter euch sein, auf dass, die unter euch offenbar werden, die bewährt sind“- die es geprüft haben und es nicht billigen. Paulus gebraucht hier das griechische Wort „hairesis“, das in den Lutherbibeln ebenfalls mit „Spaltungen“ übersetzt ist. Andere Übersetzungen, wählen dafür „Parteiungen“, aber auch das macht den Unterschied nicht deutlich genug. Eine „hairesis“ ist eine Spaltung, die auf unterschiedlicher Meinung in Glaubenssachen beruht. In der Kirchengeschichte bis heute bezeichnet man eine gravierende Abweichung von der Lehre der Kirche als „Häresie“, zu deutsch als „Irrlehre“. Paulus will also sagen, wenn bei euch Gruppen mit falschen Auffassungen vom Glauben auftreten (Häretiker), dann ist es für euch Gelegenheit und Pflicht, ihnen entgegenzutreten und ggf. auch eine Trennung zu vollziehen. Im Textzusammenhang geht es um das Abendmahl, doch gilt das Wort des Apostels auch ganz allgemein. In Röm. 16, 17 schreibt Paulus: „Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, dass ihr euch in Acht nehmt vor denen, die Zwietracht und Ärgernis anrichten entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, und euch von ihnen abwendet.“ und in Tit. 3, 10: „Einen ketzerischen Menschen (griech. Häretiker) meide, wenn er einmal und noch einmal ermahnt ist.“6 Auch Jesus hatte seine Jünger vor falschen Lehren und Lehrern gewarnt.7 Es geht darum, Menschen vor falschen Glaubenslehren zu bewahren, die sie verunsichern, in die Irre und damit leicht ins Verderben führen können.
Zur Wachsamkeit und zur Abwehr falscher Lehren (Häresien) waren schon in den ersten Gemeinden „Episkopoi“ eingesetzt, solche, „die beobachtend und prüfend auf etwas schauen“ = „Aufseher“. Der Begriff „Episkopos“ stammt aus dem weltlichen Bereich, z.B. für einen Bauaufseher und hatte zunächst keinen religiösen Bezug. Den erlangte er erst in seiner Funktion in der Gemeinde Christi. Es wurde bewusst nicht an den alttestamentlichen Priesterbegriff (hebr. Kohen, griech. Hiereus) angeknüpft. Dessen Funktion war das Opfern und das Herstellen der Verbindung zu Gott. An diese Stelle ist im Neuen Bund Jesus Christus getreten, allein über ihn und durch ihn haben wir Zugang zu Gott und seiner Gnade8.
Ins Deutsche wird „Episkopos“ wiedergegeben mit „Bischof“.9 Das deutsche Wort „Bischof“ leitet sich über das althochdeutsche „Biscop“ von „Episkopos“ her. Aufgrund der römisch-katholischen Vorprägung und einem antikatholischen Reflex übersetzen Evangelikale wörtlich mit „Aufseher“ oder „Gemeindeleiter“10. Die Episkopoi = Bischöfe waren nur für die eigene Ortsgemeinde verantwortlich und hatten noch keine gemeindeübergreifende Zuständigkeit, vergleichbar einem heutigen Pfarrer. Da von ihnen in der Mehrzahl geschrieben ist, ist die Frage, ob es in der Gemeinde anfangs mehrere Episkopoi und erst in der späteren nachapostolischen Zeit nur noch einen Episkopos gab (Phil. 1, 1).
Die Trennungen in der Kirchengeschichte und heute
Die Trennungen in der Kirchengeschichte resultieren aus dem Bemühen, die warnenden und mahnenden Worte das Evangelium unverfälscht und treu zu bewahren. Oft haben sich aber leider auch menschlich-fleischliche, säkulare und kirchenmachtpolitische Motive mit dem Vorwurf der Häresie unheilvoll vermischt, so dass Häresie und Schisma Hand in Hand gingen.
Grundlegend aber taucht immer wieder die Frage auf, wann und womit beginnt Häresie. Wann liegt eine Verfälschung der Lehre Jesu und seiner Apostel vor, die eine Trennung gebietet? Eine nur unterschiedliche Auslegung einzelner Schriftstellen genügt dazu nicht, es sei denn, dass damit die wesentlichen Glaubensinhalte (Regel des Glaubens, lat. „regula fidei“) verletzt werden. Im Gegenüber zur Röm.-kath. Kirche aber auch zur zwinglisch-calvinischen Reformation und zu täuferischen Bewegungen hat die ev.-luth. Kirche die wesentlichen Glaubensinhalte im Konkordienbuch von 1580 niedergelegt11. Darin werden falsche Lehren, insbesondere von der Rechtfertigung, der Taufe und dem Abendmahls, als kirchentrennend festgestellt.
Doch immer wieder tauchten und tauchen neue Fragen und neue Häresien auf, die zu beantworten bzw. abzuweisen sind. Im Zuge der Aufklärung des 18. Jahrhunderts wurden die Kirchen damit geradezu überflutet. Die großen evangelischen Staatskirchen taten sich schwer damit, ließen und lassen bis heute mehr und mehr Abweichungen in der Verkündigung der biblischen Botschaft zu. Selbst bei eindeutigem innerkirchlichen Widerspruch gegen die Heilstatsachen von Jesu Kreuz und Auferstehung und gegen die altkirchlichen ökumenischen Glaubensbekenntnisse des Nizänums und Apostolikums sehen die großen ev. Landeskirchen und ihre Bischöfe keinen Entscheidungs- und Handlungsbedarf.
Als erste Reaktion kam es im 19. Jahrhundert zu frommen innerkirchlichen Erweckungsbewegungen (Pietismus), aber auch zu Austritten aus den ev. Staatskirchen und zur Bildung unabhängiger Gemeinden und Kleinkirchen. Leider orientierte sich von ihnen nur eine kleine Zahl am Konkordienbuch des ev.-luth. Bekenntnisses. Viele verrannten sich in neue fromm klingende Sonderlehren. Die großen behördenmäßig verfassten ev. Staatskirchen handelten und entschieden zumeist nur unter dem Blickwinkel der Staatsräson einer einheitlichen Volkskirche. Die eigentlich theologischen Fragen des Glaubens und Bekenntnisses traten in den Hintergrund, ihnen stellte man sich weithin nicht. Die neu gegründeten ev.-luth. Gemeinden und Kleinkirchen wie auch andere wurden diskriminiert und verleumdet, um von eigenen Versäumnissen abzulenken und das religiöse Monopol zu wahren.
Aber auch unter den neugegründeten ev.-luth. Gemeinden und Kleinkirchen tauchte immer wieder neu die Frage auf: Wann liegen Verfälschungen der Lehre Jesu und seiner Apostel vor, die eine Trennung gebieten? Was vielleicht zunächst nur wie ein Nebenthema aussieht, hat meistens auch eine Beziehung und Auswirkung auf einen zentralen Glaubenssatz. Deshalb kann die Frage nicht wie in den ev. Landeskirchen mit einem großzügigen Maßstab der Liberalität oder mit Gleichgültigkeit beantwortet werden. Dagegen stehen die mahnenden Worte des Apostels Paulus (1. Kor. 5, 6.7; Gal. 5, 9): „Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig.“ und auch Jesus warnt entsprechend vor falscher Lehre (Mt. 16, 6). Sie kann eine ganze Gemeinde „durchsäuern“ und auf Abwege bringen. Deshalb kann und darf es nicht geduldet werden, dass wer öffentlich beharrlich gegen das Bekenntnis der Kirche redet, lehrt oder predigt weiter als Multiplikator in der Kirche verbleibt (Erfordernis der „Lehrzucht“).
Bevor aber eine Trennung vollzogen wird, muss versucht werden, den oder die Irrenden wieder auf den rechten Weg des Glaubens zu bringen. Das hat Jesus mit den Phariäern auch wieder und wieder versucht. Wir aber müssen auch uns selbst prüfen, ob nicht vielleicht auch bei uns Rechthaberei, Ungeduld, Sturheit, Tradition und Eitelkeit untergemischt sind (= „Schisma“). Und es muss uns auch bewusst bleiben, dass auch wir selbst, im Gegensatz zu Jesus, als sündige Menschen irren können. Relativ leicht und eindeutig ist es, wenn wir uns auf klare Worte der Heiligen Schrift berufen können. Wenn wir aber auf Schlussfolgerungen oder Ableitungen zurückgreifen ist äußerste Vorsicht geboten und es bleibt zum Schluss eine Gewissensentscheidung. Die Geschichte der staatsunabhängigen Gemeinden und Kirchen bietet dafür viele Beispiele. Deshalb muss warnend auch bewusst bleiben, dass eine ungerechtfertigte Trennung die Kirche als den Leib Christi zerreißt und gegen den Willen des Herrn steht. Auf der anderen Seite dürfen wir uns nicht in libertär - pluralistischer Weise der Abweisung falscher Lehren vom Glauben (Häresien = Irrlehren) entziehen. Dem steht massiv entgegen, dass wir zu treuen Haushaltern des Evangeliums Christi berufen sind und aller Verfälschung seiner Botschaft wehren sollen12.
1Im ntl. Text steht griech. „ekklesia“, wortwörtlich übersetzt, von Christus „Herausgerufene“. In unseren Bibel ist es übersetzt mit „Gemeinde“ oder mit „Kirche“. Gemeint und angesprochen sind immer sowohl die Ortsgemeinde als auch die Gesamtkirche.
2Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex) der Deutschen Bibelgesellschaft, zum Stichwort „Jesus Christus, 3.3 Leib Christi und Gemeinde“
3Hinweis auf das Hohepriesterliche Gebet Jesu, Joh. 17
41. Kor. 16, 1-3; 2. Kor. 8, 1 – 9, 15; Gal. 2, 10
5„Schisma“ = Gespalten- und Zerrissenheit, Uneinigkeit, Trennung, die sich vor allem im Persönlichen oder in traditionellen Gewohnheiten begründen.
6So die Übersetzungen der Lutherbibeln bis zur Revision 1984. Die Revison 2017 lautet: „Einen Menschen, der die Gemeinde spalten will, weise ab...“ Dabei geht der Gesichtspunkt der falschen Lehre verloren.
7Mt. 7, 15; 16, 6.12; Lk. 12, 1
8Hinweis auf den Hebräerbrief
9Apg. 20, 28; Phil. 1, 1; 1. Tim. 3; Tit. 1, 7
10„Aufseher“ in Elberfelder Bibel, Schlachter-Übersetzung; „Gemeindeleiter“, wie auch in der Übersetzung „Hoffnung für alle“ und in „Gute Nachricht“
11Das Konkordienbuch beinhaltet die drei ökumenischen (allgemein-christlichen) Glaubensbekenntnisse des Nizänums, des Apostolikums und Athanasianums sowie die grundlegend lutherisch-reformatorischen Schriften, besonders das Augsburgische Bekenntnis und die Lutherischen Katechismen.
121. Kor. 4, 1 - 2