Ist die reformatorische Sicht des Papstamtes noch richtig?
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Wurde bis Mitte des 20. Jahrhunderts der Papst nur als rein innerkatholischer Amtsträger gesehen, der bei Nicht-Katholiken nur Unwillen oder Achselzucken hervorrief, so hat sich das mit den letzten Päpsten grundlegend gewandelt.
Papst Johannes XXIII. hat mit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962 - 65) weltweit über die Grenzen der Konfessionen und Religionen hinaus Beachtung gefunden.
Papst Johannes Paul II. (1978 – 2005) hat mit den bisher noch nie da gewesenen medienwirksamen Weltbereisungen und seiner Unterstützung der Demokratisierung Polens eine einmalige Popularität gewonnen.
Papst Benedikt XVI. (2005 – 2013) hat als scharfer Denker und beachtenswerter Theologe wie auch mit seinem konsequenten Rücktritt aus Altersgründen, Anerkennung und Achtung über die Grenzen der Konfessionen hinaus erworben. Mit unter wird gesagt, dass Benedikt XVI. der „evangelischste Papst“ aller Zeiten war. Beeindruckend und irgendwie sympathisch finde ich ihn auch. Dass er mehr als seine Vorgänger immer wieder Christus in den Mittelpunkt gestellt hat, ist sicher positiv anzumerken.
Seine drei Jesus-Bücher können auch von einem evangelischen Christen mit Gewinn gelesen werden. Allerdings fällt schon auf, dass er in den drei Büchern mit insgesamt 985 Seiten auf insgesamt nur 10 Seiten die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu wenig erschöpfend abgehandelt hat*
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*Hinweis auf „Das Kreuz Jesu als Gottesdienst vollkommenen Gehorsams – Zum Verständnis der Heilsbedeutung des Todes Jesu im Buch Joseph Ratzingers“ von Uwe Swarat, im Sammelband „Tod und Auferstehung Jesu – Theologische Antworten auf das Buch des Papstes, Hrg. Thomas Söding, Herder-Verlag, 2011.
Die Wahl des neuen Papstes beherrschte weltweit tagelang und in aller Ausführlichkeit die Medien. Die Menschen scheinen sich nach Hoffnungsträgern, Idolen, nach Mystik und kultischem Prunk zu sehnen. Man kann nur sagen, in Bezug auf den Papst war und ist die PR-Arbeit des Vatikans äußerst erfolgreich. Die skandalösen weltweiten Missbrauchsfälle und die Finanz-skandale, Intrigen und Machtkämpfe im Vatikan werden den Päpsten, zu Recht oder zu Unrecht, persönlich nicht angelastet.
Dem neu gewählten Papst Franziskus I. werden schon nach wenigen Stunden und Tagen aufgrund seines bescheidenen und brüderlichen Auftretens und seiner Volksnähe große Sympathien entgegen gebracht. Hoffnungen auf ein neues Verständnis und lebensnahen Praktizieren des Papstamtes keimen auf. Manche evangelische Christen können sich einen Papst als den von allen Konfessionen akzeptierten Repräsentanten der ganzen Christenheit vorstellen. Die von weltlicher und liberal-theologischer Seite kritisierte Unbeugsamkeit der Päpste in der Sexualethik wirkt auf manche evangelische Christen eher anziehend.
Vor diesem Hintergrund stellt sich auf evangelischer Seite die Frage, ob und in wie weit eine Neubewertung des Papsttums vorgenommen werden müsste. Sind die Feststellungen der Reformatoren gegenstandslos geworden?
Vom Werden des Papstamtes
Die Römisch-katholische Kirche leitet das Papstamt vom Amt des Apostels Petrus her. Der Apostel Petrus war sicher als Sprecher der Jünger in gewisser Weise herausgehoben, aber auch ihm galten die Worte des Herrn Christus „Die Herrscher halten ihre Völker nieder...Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein“ (Mk. 10, 35 ff.) und „Einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder. Und ihr sollt niemanden unter euch Vater (= Papst) nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist (Mt. 23, 8 ff.). Auch nach Ostern und Pfingsten hatte Petrus eine besondere Stellung in der Gemeinde / Kirche, aber er war nicht göttlich autorisiert, allein unfehlbare Entscheidungen zu treffen. Vielmehr wirkte Petrus kollegial zusammen mit den anderen Aposteln und den Ältesten. Ja, er irrte sogar theologisch ab und musste vom Apostel Paulus zurecht gewiesen werden (Gal. 2, 11). Im Neuen Testament steht auch nirgends, dass der Herr Christus mit der Berufung des Apostels Petrus zugleich ein besonderes immer wieder neu zu besetzendes Papstamt gestiftet hat.
Dass Petrus in Rom war, ist wohl geschichtlich erwiesen, aber nicht so eindeutig, dass er der erste monarchische Bischof von Rom war. Auch die sogenannte ungebrochene Kette der Nachfolger auf dem Bischofstuhl von Rom wird geschichtlich stark in Zweifel gezogen. Untersucht man die präsentierte Nachfolgekette, dann stößt man immer wieder auf erhebliche Unklarheiten, Zweifel und auch auf Lücken. Tatsache ist auch, dass der Bischof von Rom nicht von Anbeginn als Papst der gesamten Kirche benannt, aufgetreten und anerkannt worden ist. Erst in einem jahrhundertelangen Prozess haben die Päpste sich ihre Stellung Schritt für Schritt und nicht nur mit theologischen Argumenten erkämpfen können.
Ist das Papstamt das Amt des Antichristen, wie die Reformatoren behauptet haben?
Was haben Luther, die Reformatoren und die Bekenntnisschriften zu der Aussage veranlasst, dass der Papst der Antichrist ist (Schmalkaldische Artikel, Teil 2, Art. 4)? Da wird heute gesagt, das Beschimpfen und Verunglimpfen der jeweils anderen Seite gehörte in der Reformationszeit leider zur üblichen Polemik. Da sind sich Lutheraner und Päpstliche gegenseitig auch nichts schuldig geblieben. Umgekehrt wurde auch Luther als der Antichrist bezeichnet. Zeiten und Formen solcher Auseinander- setzung sind ja „Gott sei Dank“ vorbei. Diese Feststellung ist sicher richtig, aber nicht vollständig. Worin sah man denn das Antichrist-sein des Papstes inhaltlich begründet? Und dann ist weiter zu fragen, ob denn diese Vorwürfe aus der Reformations- zeit inzwischen gegenstandslos geworden sind?
Der reformatorische Generalvorwurf lautet, dass der Papst von Christus und seinem Kreuzesopfer zur Vergebung der Sünden ablenke, er damit das Evangelium verdunkle und so die Seelen der Gläubigen gefährde. Damit werde der Papst zu dem von Paulus beschriebenen "Widerstrebenden, dem Sich- Überhebenden", zum Widersacher Christi im Tempel Gottes (2.Thess. 2, 4, Reformatoren: "Antichrist").
Stärkster Vorwurf der Reformation, der Papst verkündet eine falsche (seelengefährdende) Rechtfertigungslehre
Ablenkung, Verdunklung und Seelengefährdung bewirke der Papst mit seiner falschen Lehre, dass der Mensch mit guten Werken und Werken der Genugtuung (Buße, Ablass) selbst etwas zu seiner Seligkeit beitragen müsse. Deshalb könne der Mensch auch nie wissen, ob er die Seligkeit erlangen werde. Das aber verfälscht das Evangelium, wonach der Mensch ohne seine Werke, allein aus Gnaden durch den Glauben an das Kreuzes- opfer Jesu Christi selig wird (Röm. 3) und er so auch im Glauben seines Heils gewiss sein darf. Das Kreuzesopfer Jesu bedarf keiner Ergänzung durch den Menschen, ja, sie wäre anmaßend und eine Geringschätzung des Kreuzes Christi.
In wie weit trifft der Vorwurf heute noch zu?
Die von den Reformatoren beanstandeten römischen Aussagen wurden vom Konzil zu Trient 1580 nochmals bestätigt. Jeder der anderes lehrt oder glaubt, der wird ausgeschlossen und verdammt. Das Dogma besteht unverändert bis zum heutigen Tag. Allerdings wird es zurückhaltender und einfühlsamer ausgedrückt. Ein solcher Versuch war die 1999 verabschiedete „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ der Römisch-katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes. Gegen diese Erklärung haben jedoch über 160 Professoren der evangelischen Theologie aus rechtsformalen und inhaltlichen Gründen protestiert. Sie sahen in der Erklärung viele theologische Unklarheiten und das Dogma von Trient versteckt. Die Erklärung hat auch in der Gemeindepraxis der Kirchen bisher keinen Niederschlag gefunden. So ist z.B. der Ablass bis heute beibehalten worden.
Weiterer Vorwurf der Reformation, der Papst hält einen falschen Gottesdienst
Das betrifft das sogenannten „Messopfer“ und das Vorenthalten des Kelches für Laien. Dass in der Messe der römische Priester und mit ihm die ganze Kirche am Altar den Herrn Christus zum unblutigen Opfer darbringt, wurde als lästerlich betrachtet.
Zusätzlich lenke die in falscher Analogie zu den Zeremonien des Alten Testaments vereinseitigte „Theologie der Herrlichkeit“, die sich in gottesdienstlichem Prunk und Riten ausdrückt, vom Kreuz Christi ab. Christi Dienst an uns in Niedrigkeit, sein Leiden und Sterben für uns, und der dem entsprechende Nachfolgecharakter seiner Kirche in Demut und Dienst sind kaum mehr wahrnehmbar.
In wie weit trifft der Vorwurf heute noch zu?
Die Lehre vom Messopfer gilt nach wie vor in der Römisch-katholischen Kirche. Christus und sein Kreuz haben allerdings gegenüber der Reformationszeit schon eine zentralere Bedeutung bekommen. Obwohl, es gibt noch viele Römisch-katholische Kirchen, in denen ein riesiger goldener Altar eines Heiligen ein kleines unscheinbares Kreuz Christi überstrahlt. Bunte und reich mit Gold verzierte Gewänder der Liturgen vermitteln weiter ein beeindruckendes byzantinisches Hofzeremoniell und überdecken (vergolden) damit die dem natürlichen Menschen anstößige Botschaft des Kreuzes und der Niedrigkeit.
Weiterer Vorwurf der Reformation, die Heiligen und Maria werden anbetungsähnlich verehrt
Von Christus und seinem Kreuzesopfer werde auch durch die Verehrung und Anrufung der zahllosen Heiligen und Marias abgelenkt. Nirgends ist uns in der Heiligen Schrift gesagt, dass wir verstorbene Heilige oder Maria bitten sollen, dass sie für uns Fürbitte beim Herrn Christus einlegen. Das erste Gebot steht gegen solche anbetungsähnliche Verehrung der Heiligen und Marias.
In wie weit trifft der Vorwurf heute noch zu?
Verehrungswürdige, um Fürbitte zu ersuchende Heilige werden von Rom weiter in Fülle produziert. Gegenüber der Reformations- zeit hat Maria eine weitere Aufwertung erfahren. Noch1950 wurde die Himmelfahrt Marias zum verbindlichen Dogma erhoben. Als „Himmelskönigin“ wird sie verehrt und etliche möchten sie zur „Miterlöserin“ erhoben sehen. Die Wallfahrten zu Orten vorgeblicher Marienerscheinungen z.B. nach Lourd /Südfrankreich, Fatima /Portugal, Guadalupe /Mexiko oder zu anderen "Marienorten" wie Tschenstochau /Polen lenken erheblich von Christus, seinem Kreuz und Evangelium ab.
Weiterer Vorwurf der Reformation, der Papst maße sich eine einzigartige göttliche Stellung und auch weltliche Macht an
Das betrifft die Anmaßung, der einzige bevollmächtigte Vertreter Christi auf Erden sein, dem alle anderen um ihrer Seligkeit willen zum Gehorsam verpflichtet sind. Doch jeder Berufene, der das Wort Christi rein verkündigt, steht an Christi Statt. Diese aber sollen alle Brüder sein und keiner ist von Christus zum Herrscher über die anderen bestellt. Es entbehrt auch jeder Grundlage in der Schrift, dass nur, wer in Gemeinschaft mit dem Papst steht, in der Vollmacht Christi predige und wirksam die Sakramente verwalte. Gottes Wort und Sakrament wirken selbstverständlich auch, wenn der Prediger / Verwalter nicht in Gemeinschaft mit dem Papst steht!
Auch der Zölibat und der Ablass, die Sündenvergebung gegen Werke oder Geld, sind vom Papst eingesetzt worden, die nicht mit der Heiligen Schrift in Einklang zu bringen sind.
Den Bischöfen und auch dem Bischof von Rom ist nur die Verkündigung des Wortes Gottes und die Verwaltung der Sakramente und keine weltliche Macht übertragen
In wie weit trifft der Vorwurf heute noch zu?
Der Alleinvertretungs- und Gehorsamsanspruch des Papstes besteht bis heute fort, wenn er auch öffentlich zurückhaltender geltend gemacht wird. Der Anpruch ist sogar beim 1.Vatikanischen Konzil 1869/70 durch das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes bei Lehrentscheidungen, noch verstärkt worden.
Zölibat und Ablass gelten bis heute weiter. Zuletzt hat Benedikt XVI. einen Ablass für das Jahr des Glaubens vom 11.10.2012 - 24.11.2013 Gläubigen gewährt, die bestimmte religiöse Leistungen erbringen.
Evangelische Pastoren, deren Amt, Absolution (Sünden-vergebung) und Abendmahlsfeier werden von der Römisch-katholischen Kirche nach wie vor als nicht wirksam und nicht gültig bewertet.
Der übersteigerte Personenkult um den Papst, sei es vom vatikanischen Zeremoniell her oder von den inszenierten öffentlichen Auftritten, stimmt bedenklich. Allerdings scheint sich Papst Franziskus I. nach seinen ersten Äußerungen und Auftritten wohl ein Stück davon freimachen zu wollen.
Über weltliche Macht verfügt die römische Kirche allerdings kaum noch, obwohl sie mit dem Vatikan formal noch über einen eigenen Staat verfügt, der auch politisch und finanziell aktiv ist.
Fazit
Wenn die Vorwürfe der Reformation alle gegenstandslos würden, könnte man aus menschlichem Recht den Bischof von Rom durchaus als einen „Primus inter pares“ aller Bischöfe und als Repräsentanten der Gesamtkirche anerkennen. Das haben übrigens schon die Reformatoren gesagt und in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche niedergelegt (Schmalkaldische Artikel, Teil 2, Artikel 4).
Um der Wahrheit willen muss auch festgestellt werden, dass die Reformation indirekt auf die Römisch-katholische Kirche und auch auf das Papstamt positiv eingewirkt hat. Päpste, die in „Saus-und Braus“, in Prunk und Hurerei leben, weltliche Macht ausüben und theologisch völlig ungebildet sind, gibt es nicht mehr. Die Gläubigen dürfen seit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962 - 65) auch die Bibel lesen, die Gottesdienste (Messen) werden in der jeweiligen Landessprache gefeiert, und es kann vom jeweiligen Bischof gestattet werden, dass auch den Laien der Kelch gereicht wird.
Jeder mag nun selbst entscheiden, ob man heute noch mit den Reformatoren sagen kann, dass das Papstamt als Repräsentant der gesamten römischen Lehre leider immer noch Züge des "Widerstrebenden und sich Überhebenden" (= Antichrist) trägt, unabhängig von der Person, die es gerade verkörpert.
Wenn der Apostel Paulus schreibt, dass der "Widerstrebende und sich Überhebende" im Tempel Gottes, also in der Kirche, sitzt (2.Thess 2, 4), dann kann das heute nicht mehr nur einseitig auf den Papst bezogen werden, sondern es trifft noch viel eher Bischöfe und Amtsträger der EKD, die die Auferstehung Jesu, sein Kreuzesopfer und seine wahre Gottheit verdunkeln oder bestreiten.
Detlef Löhde
Siehe auch: Vom Papst werden Reformen
verlangt