Entwicklung des religiösen Judentums

 

Das Judentum nach der Zerstörung des Tempels und Jerusalems

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Welche Bedeutung haben nun in Bezug auf das heutige Judentum die kritischen Worte Jesu an die Pharisäer und Schriftgelehrten? Sind Jesu Worte ausschließlich auf die historische Situation der damaligen Pharisäer und Schriftgelehrten zu beziehen? Hat vielleicht die jüdische Theologie eine Entwicklung genommen, wonach die Kritik Jesu weitgehend gegenstandslos geworden ist? Oder aber gelten die Worte, die Jesus den Juden gepredigt hat, bis heute weiter?

 

Mit dem Verlust des Jerusalemer Tempels, der ja nicht durch einen Bau an anderer Stelle ersetzt werden konnte, konnten nun ca. 1/3 der alttestamentlichen Gebote nicht mehr gehalten werden. Die Hohenpriester, Priester und Leviten waren funktionslos geworden und ihre sadduzäische Theologie war dem Untergang geweiht. Überlebt hat die zweite jüdische Hauptrichtung der Pharisäer und Schriftgelehrten, wie wir sie aus dem Neuen Testament kennen. Ihre Theologie bestimmte nun das Überleben und die weitere Lehrentwicklung des Judentums.

 

Eine überlebende, sich römerfreundlich gebärdende Führung der Pharisäer und Schriftgelehrten durfte sich nach dem Jahr 70 in der judäischen Küstenstadt Jabne sammeln, wo sie ein „Lehrhaus“, eine jüdische Akademie, gründete. Diese Einrichtung sicherte das Überleben und die weitere Entwicklung des religiösen Judentums und bestand bis zum Jahr 132. Danach verlagerte sich die geistliche jüdische Führung und Akademie nach Tiberias am See Genezareth, ab dem 3. Jahrhundert ins persisch-sassanidische Sura am Euphrat.

 

Zunächst galt es die Opfer und Feste des Tempels in einem übertragenen Sinne mit formalisierten Gebeten und einer neuen Liturgie für die Synagoge und für die familiäre Festfeier zu ersetzen. In dieser Zeit wurde auch das so genannte 18-Bittengebet (Schmone Esre) abschließend formuliert, das als Hauptgebet in unmittelbarem Anschluss an das Sch'ma Jisrael (5. Mose 6, 4-9) bei jedem Synagogengottesdienst und auch privat dreimal täglich gebetet wird. Als 12. Bitte wird eine starke Verwünschung der Häretiker (hebr. „Minim“) Gott anbefohlen. Nach einer Übersetzung von Strack / Billerbeck (Kommentar zum NT aus Talmud und Midrasch, Bd. 4.1, S. 212, 213) lautet diese Benediktion, Birkath ha-minim:

 

Den Abtrünnigen sei keine Hoffnung und die freche Regierung (= Rom) mögest du eilends ausrotten [in unsren Tagen, und die Nazarener (nozrim = Christen) und die Minim (= Häretiker) mögen umkommen in einem Augenblick], [ausgelöscht werden aus dem Buch des Lebens (der Lebendigen) und mit den Gerechten nicht aufgeschrieben werden]. Gepriesen seist du, Jahve, der Freche beugt!“

 

Das Beten dieser Bitte machte es u.a. den ersten Judenchristen unmöglich noch weiter am Synagogengottesdienst teilzunehmen. Die Ausstoßung der Jünger Jesus aus der Synagoge, die Jesus vorausgesagt hatte (Joh. 16, 2), war endgültig vollzogen.

 

Im Mittelalter und der frühen Neuzeit haben vielfach Landesherrn und Kirchen den Juden das Beten dieser 12. Bitte verboten. In den heutigen deutschsprachigen jüdischen Gebetsbüchern der meisten Synagogen findet sich folgende abgemilderte Fassung: „Den Verleumdern sei keine Hoffnung, und alle Ruchlosen mögen im Augenblick untergehen, alle mögen sie rasch ausgerottet werden, und die Trotzigen schnell entwurzle, zerschmettre, wirf nieder und demütige sie schnell in unseren Tagen. Gelobt seist du Ewiger, der du die Feinde zerbrichst und die Trotzigen demütigst!“

 

Unbeeindruckt von der Kritik Jesu an der pharisäischen Theologie verfolgte das Lehrhaus von Jabne weiter den bisherigen pharisäischen Kurs. Man konzentrierte sich auf detaillierte bis ins Kleinste gehende Ausführungsbestimmungen zu den alttestamentlichen Geboten (Gesetzeskasuistik). Von den von Jesus kritisierten menschlichen Satzungen wurde behauptet, dass es sich bei ihnen um die mündlich überlieferte Thora handele, die mit gleicher Verbindlichkeit an die Seite der schriftlich überlieferten Thora trete. Zur Sicherung begann man die sogenannte mündlich überlieferte Thora schriftlich zu fixieren.

 

Diese Texte waren die Vorarbeiten und Vorläufer für den späteren Talmud, der in einer kürzeren Jerusalemer Fassung und einer ausführlicheren Babylonischen Fassung erstellt wurde. Der maßgeblichere Babylonische Talmud wurde etwa im 4. Jahrhundert abgeschlossen. Das geistliche Zentrum des Judentums hatte sich vom 3. - 11. Jahrhundert an die ehemals babylonischen Städte Sura und Pumbedetia am Euphrat verlagert.

 

Komplett ins Deutsche übersetzt wurde der Babylonische Talmud von Lazarus Goldschmidt von 1929 - 36 in 12 Bänden mit 9.457 Seiten. 1980 und 2002 wurde er erneut aufgelegt. Auf die Thora und den Babylonischen Talmud werden bis heute die Rabbiner ordiniert.

Das heutige Rabbinertum hat seine Wurzel im Pharisäertum. Das religiöse Judentum der Gegenwart gründet sich also nicht allein auf dem Alten Testament, sondern maßgeblich auch auf dem Talmud, der in sehr eigenwilliger gesetzlicher und kasuistischer Weise das AT kommentiert und auch die alttestamentlichen Geschichten legendenhaft ausschmückt und ergänzt.

 

An verstreuten Stellen nimmt insbesondere der babylonische Talmud auch zur christlichen Lehre polemisch Stellung. Die verstreuten Ausführungen nehmen, gemessen am Gesamtumfang des Talmuds, zwar nur einen geringen Umfang ein, fallen jedoch durch Gehässigkeit auf. Aus der Sicherheit des mit dem christlichen Byzanz verfeindeten persischen Sassanidenreiches konnten die Juden von Babylon polemisieren.

Peter Schäfer hat als weltweit anerkannter Judaist mit Lehrstühlen an der Freien Universität Berlin und der Universität Princeton, noch beraten von dem evangelischen Theologen Martin Hengel, Experte für Neues Testament und Antikes Judentum, dazu eine wissenschaftliche Auswertung veröffentlicht mit dem Titel „Jesus im Talmud“, Verlag Mohr Siebeck, Tübingen, 1. Aufl. 2007, 2.Aufl. 2010.

 

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass das religiöse Judentum Jesu Kritik an ihrer Theologie nicht aufgenommen hat. Auf Jesu Ruf zur Buße, zur Umkehr, mit der Verheißung der Vergebung der Sünden und des ewigen Lebens in seinem Namen, wurde und wird nicht gehört. Jesus als der Messias der Juden und Christus für alle Völker wurde und wird verworfen.

 

Die von Jesus kritisierten Satzungen wurden noch perfektioniert, um auf diesem Weg das Heil Gottes zu erlangen. So darf z.B. am Sabbat kein Fahrstuhlknopf gedrückt werden, Fleisch darf nicht von normal geschlachteten und auch ausgebluteten Tieren, sondern nur von durch Schächtung geschlachteten Tieren gegessen werden, für Fleisch- und Milchgerichte müssen unterschiedliches Geschirr und Besteck benutzt und getrennt aufbewahrt werden...Solche Vorschriften entspringen einer übersteigerten übertriebenen Auslegung der alttestamentlichen Gebote.

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Dass die Juden einen eigenen Weg zum Heil hätten – vorbei an Jesus Christus - lässt sich weder aus Worten Jesu und noch aus dem gesamten Neuen Testament entnehmen. Und Worte des Alten Testaments haben keine übergeordnete Autorität, ganz im Gegenteil. Deshalb ist die Kirche Jesu Christi, wie schon zur Zeit der Apostel, von ihrem Herrn aufgefordert, weiterhin auch den Juden das Evangelium von Jesus als den Christus zu verkünden und zu bezeugen.

 

Detlef Löhde

 

Hinweis auf den FAZ-Artikel von Robert Spaemann vom 20.4.2009 "Judenmission - Gott ist kein Bigamist": http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/judenmission-gott-ist-kein-bigamist-1784941.html

 

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Jüngste Entwicklung im Judentum
Orthodoxe Rabbiner gestehen zu, dass Gott in seinem Heilsplan Jesus an die Heidenvölker als "Lehrer der Thora" gesandt hat. Deshalb sollten Juden und Christen in ethischen Fragen zusammenwirken
Jüngste Entwicklung im Judentum Erkläru
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