Ein "Werteverfall" wird beklagt - woher beziehen wir unsere Werte?
Wenn wir heute Zeitung lesen oder Fernsehen, dann erfahren wir fast täglich Horror- und Skandalmeldungen und regelmäßig wird uns von Verbrechen, von Mord und Totschlag berichtet. Ein in den letzten Jahrzehnten eingetretener Werteverfall ist offensichtlich.
Dagegen mag man einwenden, dass es Verbrechen leider schon immer gegeben hat, angefangen bei dem Mord des Kain an seinem Bruder Abel. Morde gibt und gab es auch in den totalitären Polizeistaaten unter Hitler und Stalin und im heutigen China. Die Regime erwecken bzw. erweckten nur den äußeren Anschein, als könnten sie Kapitalverbrechen unterbinden und deshalb kommen die Verbrechen auch nicht in die Presse, sondern von Zeit zu Zeit nur die verhängten Todesurteile.
Statistisch ist, entgegen den „Einschätzungen am Stammtisch“, heute bei uns die Schwerkriminalität im Vergleich zu den 50-er Jahren nicht etwa
angestiegen, sondern zurückgegangen und die Aufklärungsrate der Verbrechen ist erheblich gestiegen. Man kann auch auf die übergroße Spendenbereitschaft
anlässlich der Flutkatastrophe in Südostasien verweisen und behaupten, dass unsere Gesellschaft doch an Humanität gewonnen hätte. Leider besagen diese sicher positiven Feststellungen wenig über
die grundlegende ethische Verfassung unserer gegenwärtigen Gesellschaft. In den letzten Jahrzehnten haben sich Ansichten und Verhaltensweisen breit gemacht, die erschrecken lassen.
Deutschland ist inzwischen, was die Korruption betrifft, nach Italien an die zweite Stelle in Europa aufgerückt. Die Presse ist voll von Spendenskandalen, Betrugs- und Bestechungsfällen, gerade aktuell die Fälle im deutschen Fußball, die verschwiegenen Einkünfte von Politikern, die sich selbst genehmigten Zuwendungen von Führungskräften und Politikern, manipulierte Aktienkurse und -geschäfte, Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Schwarzgeldaffären, finanzielle Untreue, betrügerische Bankrotte. Zum Maß aller Dinge ist der persönliche finanzielle Vorteil geworden und das wird als durchaus legitim betrachtet. Wer anders denkt und handelt, wer einmal seinen persönlichen Vorteil zugunsten anderer oder der Gemeinschaft zurückstellt, der wird für dumm gehalten. Die neue Devise lautet: Eigennutz geht vor Gemeinnutz. Über die Skandale entrüstet man sich vor allem deshalb, weil es bestimmten Personen gelungen ist besonders raffiniert und unverschämt zuzugreifen. Man ist nur ein Stück weit neidisch auf die Möglichkeiten und Gelegenheiten anderer.
Allgemeine ethische Werte wie Treue, Ehrlichkeit, Fleiß, Ordnung, Bescheidenheit, Dienen, Uneigennützigkeit, Opferbereitschaft, Ehre, Ehrfurcht,
Frömmigkeit, wurden von der 68-er- Bewegung lächerlich gemacht und sind heute weitgehend geschwunden. Der Egoismus geht bis in die Familien hinein, die persönliche Verantwortung für
Familienmitglieder wird weithin nicht mehr wahrgenommen. Man ist nicht mehr bereit, für seinen Ehepartner oder für ein Kind oder für die hilfsbedürftigen Eltern persönlichen Verzicht an Geld,
Zeit, Karriere oder Selbstverwirklichung zu üben. Rücksichtslos will man nur sich selbst und seinem Wohlbehagen leben. Weil man schließlich nur einmal lebt, wird das Leben nach dem Lust-Prinzip
gestaltet, nach Sex, Geld, Macht und völligem Ungebunden-sein – verantwortungslos vor Gott und dem Nächsten. Die Folgen sind Eheprobleme, Scheidungen, Verzicht auf Kinder, Vernachlässigung der
Kinder, Abtreibungen, Forderung nach aktiver Sterbehilfe für die Alten, Forschung an aus Embryonen gewonnenen Stammzellen.
Bestimmte Verhaltensweisen, die noch vor 30 Jahren zum Teil unter Strafe standen und allgemein moralisch verurteilt wurden, sind heute staatlich und
damit auch gesellschaftlich und weithin moralisch akzeptiert. Damals durfte ein Ehebrecher den „Scheidungsgrund“ auch standesamtlich nicht heiraten. Wer an Unverheiratete ein Zimmer oder eine
Wohnung vermietete machte sich unter Umständen wegen Kuppelei strafbar. Ein Vorgesetzter, der mit einer Untergebenen und damit einer Abhängigen und Schutzbefohlenen, heimlich ein Verhältnis
einging, wurde fristlos gekündigt. Pornographie, Homosexualität und Abtreibung standen unter Strafe. Nun mag man darüber streiten, ob in allen Fällen eine staatliche Strafe geboten war, jedoch
wird an den Beispielen deutlich, dass sich die staatliche Gesetzgebung damals noch relativ eng an biblischen Maßstäben orientierte. Verurteilt man heute die genannten Verhaltensweisen nur verbal,
dann wird man völlig verständnislos angesehen und ggf. gesellschaftlich ausgegrenzt und geächtet. Künftig wird man Gefahr laufen, gegen Anti-Diskriminierungsgesetze zu verstoßen und sich strafbar
zu machen.
Der Mangel wird bewusst, deshalb der Ruf nach Werten
Nachdenkliche und Verantwortungsbewusste fragen: Sind wir eine „wert(e)lose“ Gesellschaft geworden? Wie können gemeinschaftliche Aufgaben und
Herausforderungen, sei es im Staat, in Vereinen und Verbänden, in Kirche und Gemeinde und in der Familie noch gemeistert werden, wenn immer mehr Menschen rücksichtslos bis hin zur Kriminalität
nur auf ihren ganz persönlichen Vorteil bedacht sind? In solchem Verhalten und Denken steckt der Keim des Niederganges und der Selbstzerstörung einer Gemeinschaft, sei es einer großen wie der
Staat oder einer kleinen wie die Familie. Relativ rat- und hilflos wird nach verbindlichen ethischen Werten gerufen. Aber woher kommen sie, welche sind es und wie erreicht man wieder ihre
allgemeine Anerkennung?
Woher die Werte kommen sollen, darauf gibt es sehr unterschiedliche Antworten. Sie lauten: ganz rational betrachtet, aus den Anforderungen des
Zusammenlebens in einer Gemeinschaft, vom Gedanken der Demokratie, des Rechts- und Sozialstaates, und / oder aus dem Empfinden aller Menschen guten Willens, aus dem Humanismus, aus der
Philosophie und den Religionen. Auf eine gemeinsame maßgebliche Quelle ethischer Werte kann sich aber unserer Gesellschaft nicht verständigen und so stellt man fest, dass es ja eigentlich auf die
Quelle gar nicht ankommt, sondern eben nur auf die gemeinsamen Werte. Man postuliert eine so genannte „Wertegemeinschaft“ und propagiert, losgelöst von einer Grundlage, bestimmte ethische Werte.
Man will Äpfel haben und meint auf den Apfelbaum verzichten zu können. Doch ethische Appelle ohne einen Rückbezug überzeugen nicht, weil die „Warum-Frage“ nicht beantwortet wird. Begründungen wie
„Das tut man nicht“ oder „Das ist doch selbst- verständlich“ reichen nicht. Und unbeachtet bleibt auch, dass sich die Werte maßgeblich von deren Quelle her bestimmen. Äpfel kann man nur von einem
Apfelbaum und nicht von einem Birnbaum bekommen. Wer z.B. ein sozial- darwinistisches Weltbild wie Nietzsche hat, nach dem alles gut ist, was stark ist und alles schlecht ist, was schwach ist und
der Sinn des Lebens ist, das „Sich-Durchsetzen-um-jeden-Preis“, der wird gegenüber den christlichen Werten zu geradezu entgegengesetzten „Werten“ kommen.
Zur Ausgangsfrage: Woher kommt der Werteverfall und wo haben die so vermissten ethischen Werte ihren Ursprung? Für Christen ist die Antwort
eigentlich ganz einfach: Der Werteverfall und -verlust erwächst aus der Sünde der Menschen, aber alles Gute kommt von Gott. Nur kommt das Gute nicht für jedermann einsehbar direkt von Gott -
kommt nicht „direkt sichtbar senkrecht von oben“. Die detaillierte Antwort, woher die „Werte“, kommen ergibt sich aus dem biblischen Menschenbild und der Heilsgeschichte.
Der Mensch als Gottes Geschöpf – als sein Ebenbild / Abbild
„Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei... Und Gott schuf den
Menschen zu seinem Bilde, zum Bild Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.“ (1. Mose 1, 26 -27; 1. Mose 5, 1 – 2).
Der Mensch verweist also mit seiner Existenz auf Gott als seinen Schöpfer, ohne den er weder sinnvoll existieren noch in seiner Würde verstanden werden kann. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen besteht in seiner wesenhaften und bleibenden Bezogenheit auf Gott als Grund und Gestalt seines Leben-sein. Obwohl der Mensch zum Ebenbild Gottes geschaffen ist, oder besser, weil er zum Ebenbild geschaffen ist, ist er nicht nur eine Marionette Gottes, sondern eine selbständige Persönlichkeit, mit Vernunft und am Anbeginn – vor dem Sündenfall - mit eigenem freien Willen und der Entscheidungsmöglichkeit für und mit Gott zu leben oder ohne bzw. gegen ihn. Der Unterschied des Menschen zu den anderen Geschöpfen, den Tieren, ist: ein Bewusstsein seiner Existenz haben, Gedanken in die Vergangenheit und Zukunft richten können, sich seiner Bezogenheit auf Gott und seiner Verantwortung vor Gott bewusst zu sein. Wer ohne jede Beziehung zu Gott lebt, hat sein Mensch-sein verfehlt und lebt letztlich wie ein Tier.
Aus der Gottesebenbildlichkeit eines jeden Menschen erwächst auch die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben. Wer sich am menschlichen Leben
vergreift, der vergreift sich an Gottes Ebenbild und damit an Gott selber. Allein Gott ist der Herr über Leben und Tod eines Menschen. Er hat's gegeben und allein ihm steht es zu, es auch wieder
zu nehmen.
Der Maßstab des sündigen Menschen – Egoismus, das Prinzip der Lust und Macht
Durch den Sündenfall ist das Ebenbildlichkeit des Menschen verunstaltet worden, hat tiefe Risse bekommen, die schließlich zum Zerfall, zum Tode
führen. Die Vernunft des Menschen ist verdunkelt, die Freiheit seines Wollens und Tuns in Bezug auf Gott ist verloren. Die Erbsünde – das „Von-Gott-Wegwollen“, ihn nicht als Gott und Herrn
anerkennen wollen, sondern lieber seinen eigenen egoistischen und bösen Willen tun wollen, das hat sich unausrottbar im Menschen eingenistet. Diese vererbte Veranlagung ist die Quelle des
sündigen menschlichen Maßstabs: das Lust- und Machtprinzip, das sich in Verantwortungslosigkeit gegenüber Gott und den Mitmenschen und in einem schrankenlosen Egoismus bis hin zur Kriminalität,
zum Mord, manifestiert.
Die Eindämmung der äußeren Bosheit - Auftrag des Staates
Damit nun nicht der ungezügelte Kampf „Jeder gegen Jeden“ entbrennt und jede menschliche Gemeinschaft in Selbstzerstörung und Chaos untergeht, hat Gott in seiner Gnade die Ordnung des Staates mit einer Regierung und Ämtern gesetzt. Deren Aufgabe ist es, das leibliche Leben seiner Bürger zu schützen und zu fördern und die äußerliche Bosheit von Einzelnen oder Gruppen einzudämmen und zu strafen, wenn es sein muss mit legaler Gewalt, mit Zwang und Strafe durch Polizei, Gericht und Militär.
Das Problem ist, dass der Staat und die Ämter auch von sündigen Menschen besetzt sind. Deshalb wird eben nicht immer gerecht verfahren und man lässt sich nicht nur von Gottes Maßstab für gut und böse leiten. Damit aber wird die göttliche Aufgabe des Staates nur unvollkommen erfüllt, im Extremfall sogar verfehlt. Andererseits muss uns bewusst sein, dass staatliche Verbote und Strafen keine ethischen Werte begründen, sondern diese nur flankierend stützen können. Werden allerdings die staatlichen Verbote und Strafandrohungen für bestimmte Taten und Verhaltensweisen aufgehoben, dann schwindet damit auch langsam das Unrechtsbewusstsein. Was einmal vom Staat durch seine Strafandrohung öffentlich als ethisch verwerflich eingestuft war, wird durch eine Aufhebung der Strafnorm im Bewusstsein der breiten Bevölkerung langsam als wertneutral, wenn nicht als „das gute Recht eines Jeden“ eingestuft. Wem ist z.B. noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bewusst, dass auch heute noch Abtreibung unrechtmäßig – also rechtswidrig im Sinne der Verfassung ist – denn schließlich ist gemäß Art. 1 Grundgesetz die Würde des Menschen und damit erst recht sein Leben unantastbar. Dass aber der Staat beim Einhalten bestimmter Auflagen (Beratung, Fristen) aus Verständnis für die Belange der Frau von einer Bestrafung des eindeutigen Unrechts absieht und Straffreiheit gewährt, macht aus dem Unrecht kein Recht, aus Sünde keine wertneutrale Handlung.
Da wird deutlich, wie der Staat, anstelle dass er die Bosheit eindämmt, er sie ein Stück weit gewähren lässt, wodurch eine Aufweichung der Werte
eintritt. Ich wiederhole meine eingangs getroffene Feststellung: Das Problem ist, dass der Staat auch von sündigen Menschen, ja, von Nichtchristen, besetzt und geleitet wird, die sich von daher
eben nicht von Gottes Maßstab leiten lassen und damit ihre eigentliche göttliche Aufgabe verfehlen. Durch weitere so genannte Liberalisierungen des Strafrechts z.B. des Sexualstrafrechts, des
Verbots der Gotteslästerung, der Ehrverletzung und Beleidigung hat eine umfangreiche Aufweichung ethischer Werte stattgefunden. Aus einem überzogenen säkularen Selbstverständnis zieht sich der
Staat aus etlichen ethischen Bereichen mehr und mehr zurück. Entsprechend dem allgemeinen Zurückziehen des Staates aus dem ethischen Bereich nehmen auch die Schulen heutzutage vorrangig nur noch
den Auftrag der Wissensvermittlung wahr, für die Persönlichkeitsbildung und Wertevermittlung bestehen kaum noch verbindliche Vorgaben. Der Staat weist eine ethische Erziehung seiner Bürger als
mittelalterlich weit von sich, es sei denn ein Verhalten verstößt gegen die irgendwie zustande gekommene „political correctness“. Das heißt, bestimmte Themen werden durch gesellschaftliche oder
mediengemachte Tabuisierung jeder Kritik entzogen. Da darf keiner mehr etwas gegen Homosexualität und Abtreibung oder gegen die Gefahren der multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft
sagen und keine Bedenken gegen Krippenbetreuung für unter Dreijährige äußern. Durch solche Tabus werden aber mittelbar neue falsche „Werte“gesetzt. Die bereits angesprochenen
Antidiskriminierungsgesetze werden noch manche böse Überraschung in dieser Hinsicht bringen, z. B. die faktische Einschränkung der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit und der
Meinungsfreiheit.
Ethische Werte auch außerhalb des christlichen Glaubens?
Nun hören wir immer wieder, man solle doch nicht denken, dass die Bibel und der christliche Glaube die einzige Quelle für ethische Werte wäre. Es gibt doch eine Fülle anderer positiver wertvoller Staats- und Lebensphilosophien, angefangen bei den antiken Griechen und Römern über Laotse und Konfuzius, über den Humanismus und das Naturrecht bis hin zur Pflichtenethik Immanuel Kants und schließlich die des heutigen westlichen Staatsverständnisses eines freiheitlichen demokratischen Recht- und Sozialstaates. Und auch die antiken Religionen und die der Naturvölker wie auch der Hinduismus, Buddhismus und Islam vertreten doch auch positive ethische Werte, zumindest in Einzelbereichen. Diese Werte begründen sich doch ganz offensichtlich nicht in der Bibel, also nehmt Abschied von eurem exklusiven und anmaßenden Weltbild, dass wirkliche ethische Werte nur aus der Bibel kommen. Es gibt doch wahrhaft große Staatsmänner, Philosophen und Wohltäter der Menschheit, die keine Christen sind oder waren. Und es gab und gibt auch nichtchristliche Staaten und Völker, die auf einem hohen ethischen Stand lebten oder leben (antike griechische Stadtstaaten, mittelalterliches Kalifat von Cordoba, das heutige Singapur...).
Den größten sachlichen und psychologischen Fehler, den man nun als Christ machen kann, ist zu bestreiten, dass es
auch außerhalb des christlichen Glaubens noch wahrhaft ethische Werte gibt und dass man beginnt, alles was einem an Positivem entgegengehalten wird, irgendwie „madig zu machen“. Das geschieht
vielfach aus der Befürchtung, dass man sonst die weltliche Philosophien, Weltanschauungen und heidnische Religionen mit der Bibel und dem christlichen Glauben auf eine Stufe stellen und man damit
die Einmaligkeit der christlichen Botschaft in Frage stellen würde. Aber wie habe ich als Christ die Tatsache einzuordnen, dass es tatsächlich auch außerhalb des christlichen Glaubens positive
ethische Werte gibt? Wo haben sie ihren Ursprung? Ist die anfangs aufgestellte Behauptung, dass sich alle ethischen Werte aus dem biblischen Menschenbild und der Heilsgeschichte begründen, dann
überhaupt noch richtig?
Der natürliche Mensch verfügt noch über einen „Rest-Wertemaßstab“
Jeder Mensch ist auch nach dem Sündenfall noch ein Stück weit das Ebenbildes Gottes und von daher ahnt jeder Mensch noch etwas von der Existenz Gottes, von dem Unterschied zwischen „gut“ und „böse“ und von der Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott und den Mitmenschen. So ist auch der gefallene Mensch noch ein Stück weit auf Gott bezogen, trägt noch ein Stück angeborener Religiosität in sich (natürliche Gotteserkenntnis).
Röm. 1, 19 ff.: „Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen (den Heiden) offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, sodass sie keine Entschuldigung haben. Denn obwohl sie von Gott wussten, habe sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert.“
Es gab keine Kulturstufe der Menschheit – auch nicht in der Steinzeit – ohne jede Religion, d.h. ohne eine Ahnung von Gott bzw. ohne eine Erinnerung an Gottes Zuwendung (Ur-Offenbarung) und ohne ein Wissen um „gut“ und „böse“.
Röm. 2,14.15: „Denn wenn Heiden, die das (von Gott offenbarte) Gesetz nicht haben, doch von Natur tun, was das Gesetz fordert, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie beweisen damit, dass in ihr Herz geschrieben ist, was das Gesetz fordert, zumal ihr Gewissen es ihnen bezeugt, dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen.“
Diese verbliebene Ahnung manifestiert sich im Vorhandensein des Gewissens. Aus diesem Rest der Gottesebenbildlichkeit und der daraus hervorgehenden stückweisen natürlichen Gotteserkenntnis kommen nun auch die positiven ethischen Wertvorstellungen. Hierin gründen sich die positiven Seiten von außerchristlichen Weltanschauungen, Philosophien, des Humanismus und auch die der anderen Religionen. Also alles, was wir an positiven Werten außerhalb des christlichen Glaubens finden, hat seinen Ursprung auch in Gott, nämlich in der vom Schöpfer verliehenen Gottesebenbildlichkeit und natürlichen Gotteserkenntnis. (vgl. Feststellung des II. Vatikanums).
Dabei muss allerdings auch festgestellt werden: weil die natürliche Gotteserkenntnis nur noch als Bruchstück und zugleich mit der Erbsünde im Menschen vorhanden ist, deshalb sind die positiven ethischen Werte in den außerchristlichen Weltanschauungen, Philosophien und Religionen auch nur als Bruchstück vorhanden, vermengt oder verdunkelt mit sündigen und widergöttlichen Ansichten und Vorstellungen, im Falle der heidnischen Religionen vermengt mit Götzendienst.
Weiter ist festzustellen, dass die dem sündigen Menschen verbliebene natürliche Gotteserkenntnis nicht zur Erkenntnis des Heilsweges führen kann.
Nicht in der verbliebenen natürlichen Gotteserkenntnis und daraus fließender ethischer Werte und Werke, sondern allein aufgrund der Fleischwerdung des Sohnes Gottes und durch sein
stellvertretendes Opfer am Kreuz kann der Mensch das Heil erlangen. Aus der dem Menschen verbliebenen Gotteserkenntnis kann er den einzigen Heilsweg in Jesus Christus nicht erkennen, da ist er
allein auf Gottes Offenbarung und Wort gewiesen. Und die Erkenntnis des Heils, den Glauben an Jesus Christus erlangt der Mensch auch nicht aus sich selbst, sondern so wie Luther im Kleinen
Katechismus schreibt: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat hat mich durch
das (gepredigte und sakramentale) Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten.“
Gott hat den Menschen eindeutige Gebote gegeben – sein göttliches Gesetz
Weil nach dem Sündenfall die natürliche Gotteserkenntnis nur noch eine gebrochene ist, kann der Mensch nicht mehr verlässlich, eindeutig und klar
genug erkennen, was seine Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen ist, was genau gut und gottgefällig und was böse und widergöttlich ist. Deshalb hat sich Gott den Menschen in der
Heilsgeschichte offenbart und ihnen unmissverständlich sein Gesetz mit den Zehn Geboten gegeben. Auf die Frage, welches das höchste Gebot im Gesetz sei, antwortet Jesus (Mt. 22, 37 - 40): „Du
sollst den Herrn, deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen beiden
Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Das sind ethische Werte und Maßstäbe, die - im Gegensatz zu den Weltanschauungen, Philosophien und anderen Religionen - klar und eindeutig und
nicht mit Sünde durchsäuert oder verdunkelt sind. Allein aus dem Mund Gottes, aus seinem Wort, von seinem Sohn, erfahren wir nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift wahrhaft reine unverfälschte
ethische Werte und Maßstäbe. Danach soll der Mensch leben. Aber aufgrund der im Menschen vorhandenen Erbsünde gelingt ihm ein solches Leben nicht, sondern er ist immer wieder ungehorsam und
vergeht sich gegen Gottes Gebote und Maßstäbe. So wird jeder Mensch nach dem Gesetz schuldig vor Gott und ist der Strafe des ewigen Todes verfallen. Das gute heilige Gesetz Gottes zeigt jedem
Menschen seinen Ungehorsam, seine Bosheit und Sünde auf. Es klagt den Menschen an und verkündet ihm den Zorn und die Strafe Gottes.
Die Rechtfertigung des Menschen durch Jesus Christus – das Evangelium
Nach dem Gesetz ist der natürliche Mensch dem Zorn und der Strafe Gottes verfallen, aber Gott hat kein Gefallen am Tod des Gottlosen, sondern dass
der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe (Hes. 33, 11). Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Tim. 2, 4). Diese Erkenntnis und Wahrheit
ist in Jesus Christus, der da spricht: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh. 14, 6). Er hat die Strafe für die Gesetzlosigkeit der Menschen auf sich genommen und ist stellvertretend
für uns am Kreuz gestorben. Jesus ist ohne Sünde, er hat das ganze heilige Gesetz Gottes erfüllt – die Liebe zu Gott seinem Vater, in dem er in seinem Auftrag gehorsam und willig das
Erlösungswerk vollbracht hat – und die Liebe zu den Menschen, in dem er zur Vergebung ihrer Sünden am Kreuz gestorben ist. Jesus spricht, er sei gekommen, „dass er diene und gebe sein Leben zur
Erlösung für viele“ (Mt. 20, 28). Das ist das Evangelium, die frohe Botschaft, dass alle, die an Jesus Christus und sein Erlösungswerk glauben, Vergebung der Sünden und das ewige Leben
haben.
Aus dem Evangelium erwächst die Heiligung („dritter Brauch“ des Gesetzes)
Dass der Mensch nicht durch Halten des Gesetzes vor Gott sündlos leben und gerecht werden kann, sondern er allein auf die Gnade in Jesus Christus gewiesen ist, heißt nicht, dass damit nun Gottes Gesetz aufgehoben wäre. Durch Christi Versöhnung sind der Zwang und Fluch der Strafe und ewigen Verdammnis aufgehoben, aber nicht der Wesensgehalt der göttlichen Gebote. Gottes Gebote sind doch gute Gebote, die sich alle im Liebesgebot gegen Gott und unseren Nächsten begründen – die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung (Röm. 13, 19). Wie könnte dies für einen Christen aufgehoben sein? Jesus Christus spricht: Ich bin nicht gekommen das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen (Mt. 5, 17) und „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. So bringt jeder gute Baum gute Früchte, aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte. Jeder Baum der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen (Mt. 7, 16 ff.). Und Paulus schreibt, nach dem er von der Gerechtigkeit allein aus dem Glauben ausführlich gehandelt hat, dass durch den Glauben das Gesetz nicht aufgehoben, sondern aufgerichtet werde (Röm. 3, 31). Der Glaube bringt gute Früchte und gute Werke hervor und tut alles, was Gott geboten hat, aus willigem Kindesgehorsam, Liebe und Dankbarkeit gegen Gott. Deshalb wird ein Christ – sofern er nicht der Erbsünde nachgibt, sondern auf den heiligen Geist hört – Gottes Gebote von Herzen gern erfüllen. Da die guten Werke des Christen vom heiligen Geist in seinem Herzen gewirkt sind, kommen sie automatisch mit dem Glauben und sind es eigentlich gar nicht die Werke des Menschen, sondern Gottes, wie der Apostel Paulus schreibt (Eph. 2, 10): „Wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.“ Deshalb schreibt Luther in den Schmalkaldischen Artikeln, Teil III, Art. 13: „Wo keine guten Werke nachfolgen, da ist der Glaube falsch und nicht recht.“
So ist der wahre christliche Glaube die reinste und nachhaltigste Quelle für ethische Werte, wie es in der Konkordienformel heißt: Der Gläubige tut
(das Gesetz) aber ohne Zwang mit willigem Geist – soweit er neu geboren ist -, was keine Drohung des Gesetzes von ihm je erzwingen könnte.
Die Gebote sind „der unwandelbare Wille Gottes, nach welchem sich die Menschen in ihrem Leben verhalten sollen“. Sie sind nicht allein Verbot und
Warnung gegen die Bosheit also „Riegel“ und nicht nur „Spiegel“ zur Erkenntnis seiner Sünden, sondern sie geben dem Christen auch eine unzweifelhaft gewisse „Regel und Richtschnur“ für sein
Leben. Der Christ muss nicht nachsinnen, was Gottes Wille ist und dabei vielleicht auf verführerische Abwege und Gedanken geraten, sondern zu seiner gewissen Orientierung hat er Gottes klare
Gebote und Worte. (Zum „dritte Brauch“ des Gesetzes: Augsburger Bekenntnis, Art. 6; Apologie zum Augsburger Bekenntnis, Art. 3; Schmalkaldische Artikel, III. Teil, Art. 13; Konkordienformel II.
Teil, Art. 6 ).
Vom Auftrag der Kirche
Der Herr Jesus Christus hat seiner Kirche den (Missions-) Auftrag gegeben, in die Welt zu gehen und das Evangelium zu predigen (Mk. 16, 15). Dazu gehört auch, dass „gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern (Lk. 24,47).“
Die Predigt von Gesetz und Evangelium soll sich gerade auch an die dem Glauben Fernstehenden richten, damit sie „zu Jüngern Jesu gemacht werden“ (Mt. 28, 18 ff.).
Da stellt sich die kritische Frage, in wie weit geschieht dies heute durch die Kirche? Wo und von wem wird in unserem Land noch beständig und umfänglich evangelisiert und missioniert? Welche Anstrengungen, Geldmittel und Personalkräfte wenden wir dafür noch auf?
Und um auf unsere Ausgangsfrage nach den Werten zu kommen, wir haben doch gehört, dass dem Glauben so zu sagen automatisch die guten Werke – die Werte folgen. Der Mission folgen die Werte!
Die Kirche hat in Vollmacht Jesu Christi schwerpunktmäßig das Evangelium – die frohe Botschaft von der
Vergebung der Sünden allein durch Jesu Opfertod - zu verkünden. Das schließt jedoch die Verkündigung und das Bezeugen des Gesetzes in seinen Funktionen als „Riegel“, „Spiegel“ und „Regel“
nicht aus, sondern ein (Augsburger Bekenntnis, Art. 6; Apologie zum Augsburger Bekenntnis, Art. 3; Schmalkaldische Artikel, III. Teil, Art. 13; Konkordienformel II. Teil, Art. 6).
Die Kirche soll bezeugen:
Das Gesetz als „Riegel“,
als Maßstab für das Zusammenleben und Verhalten der Menschen und um die Sünde äußerlich im Zaum zu halten.
Das schließt das öffentliche Zeugnis gegenüber der Obrigkeit (Staatsgewalt) ein. Von daher hat die Kirche ein Wächteramt, das heißt, sie hat den Staat zu ermahnen, wenn er seinem göttlichen Auftrag nicht nachkommen oder göttliche Gebote und Ordnungen aushöhlen oder aufheben will.
Da sind von der Kirche nachdrückliche mahnende Worte in der Öffentlichkeit gefordert, z.B. hinsichtlich des Eheverständnisses, der Sexualethik (Freigabe der Pornographie in der Öffentlichkeit, „Homo-Ehen“), des Scheidungsrechts, der Abtreibungen, des Schutzes der Sonn- und Feiertage, der Betrugsmentalität, des Egoismus.
Geschieht dies in einem eindeutigen vernehmbaren und ausreichenden Maße?
Das Gesetz als „Spiegel“,
zur Erkenntnis unserer Sünden und des göttlichen Gerichts (Röm. 3, 20).
Da sind alle möglichen Sünden aufzuzeigen und besonders solche, die zur Zeit und bei den Hörern weit verbreitet oder neu eingebrochen sind. Sünden, die in unserer heutigen Zeit als fast selbstverständliche Verhaltens- oder Unterlassensweisen angesehen werden, dürfen nicht ausgesparrt werden, Stichworte: Vernachlässigen des sonntäglichen Gottesdienstes (3. Gebot), Vater und Mutter ehren; treue Arbeit für seinen Arbeitgeber; Gehorsam, Dienst und Loyalität gegenüber dem Staat, Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit auch für und in den Gemeinden (4. Gebot), Hinweis auf Gottes Gebot - seid fruchtbar und mehret euch -, Kinder als Gabe Gottes und nicht als Belastung für die Finanzen und Hindernis bei der Selbstverwirklichung zu sehen; Anprangern der Sünde der Unwahrhaftigkeit, Lieblosigkeit, des Geizes und Egoismus in Familie und Gemeinde, des Ehebruchs und der Scheidung auch in der Kerngemeinde, des Zusammenleben Unverheirateter bei jung (aus Scheu vor dauerhafter Bindung) und alt (wegen der Rente).
Das Gesetz als „Regel und Richtschnur des Lebens“
Warum wird das gute Gesetz und die guten Ordnungen Gottes so wenig gepredigt als Orientierung, als gute Regel und Richtschnur für unser Leben (Röm. 3, 31; 13, 8 f.; 1.Joh. 5,2)? Soll das den überlassen bleiben, die daraus fälschlich eine Verdienstlichkeit der guten Werke ableiten? Die Angst, der Werkgerechtigkeit Vorschub zu leisten, ist bei vielen Lutheranern schon zum Komplex geworden. Jedoch Jesus selbst reizt seine Jünger zu guten Werken an und auch der Apostel Paulus. Luther und die Väter der Bekenntnisschriften wie auch die Väter der lutherischen Erweckung und Freikirchen hatten diesen Komplex auch nicht. Sie riefen zur Heiligung, denn auch der Christ steht immer wieder in Versuchung, nachlässig zu werden. Ist es vielleicht ein Stück des alten Adams, das Abstand nehmen lässt vom guten dritten Brauch des Gesetzes und den göttlichen Ordnungen zu reden und zu handeln? Gehört zum Empfang der Vergebung nicht immer auch der Wunsch, sich mit Hilfe des heiligen Geistes zu bessern?
Wie steht es mit der Heiligung, dem „dritten Brauch des Gesetzes“, bei uns, bei unseren Gemeindegliedern und Pastoren? Sollen wir Christen nicht
Vorbilder für alle Menschen sein und mit unserem Leben Zeugnis von unserem Glauben geben (Mt. 5,16; 1.Petr. 2,12; 1.Tim.4,12; Tit. 2,7)?
Zusammenfassende Antwort auf die Frage,
was getan werden kann, dass unsere Gesellschaft wieder zu Werten kommt:
Als Person, als Gemeinde, als Kirche, als Volk und Staat sollen wir Gottes Bußruf vernehmen, dass wir
1.
persönlich im und aus dem Glauben an Jesus Christus leben und ein Vorbild der Liebe zu Gott und den Menschen in Wort und Tat geben;
2.
die Kirche unterstützen,
- dass sie Gesetz und Evangelium recht verkündet, damit die Menschen zum Glauben kommen, womit zugleich auch das gute Gesetz Gottes aufgerichtet wird;
- dass sie auch öffentlichkeitswirksam gegen die Stimme des Zeitgeistes in Staat und Gesellschaft Gottes Ordnungen und Gebote verkündigt.
3. den Staat unterstützen,
- die äußerliche Bosheit einzudämmen, Schutz, Recht und Gerechtigkeit zu wahren und zu üben,
- die ethischen Werte zu fördern und gesetzlich zu stützen, die aus der Gotteserkenntnis jedes natürlichen Menschen fließen.
Detlef Löhde