Wie handelt ein Christ in dieser Welt?

- Von der evangelischen Ethik -

Ein Merkmal der Botschaft Christi und des Neuen Bundes ist es, dass uns der Inhalt – der Geist – des göttlichen Gesetzes für unser Verhalten gegenüber Gott und unseren Nächsten ins Herz geschrieben ist. Da wir aber auch als gläubige Christen noch die Erbsünde in uns haben, bleiben wir aber auch noch zur Sünde neigende unvollkommene und fehlsame Menschen. Luther spricht vom „simul iustus et peccator“, das heißt, wir sind durch Christus Gerechtfertigte aber zugleich auch noch Sünder. Wir wirken im Herzen oft auch noch dem Heiligen Geist entgegen und erkennen auch nicht in jeder Situation unseres Lebens den Willen Gottes. Ja, manchmal wollen wir es nicht! Gott aber zwingt uns nicht seinen Willen auf, und wir benutzen dann oft diese Freiheit dazu, Gottes Willen zu ignorieren und nach unserem Willen zu handeln. Deshalb sollen wir immer wieder Gottes Wort der Heiligen Schrift hören und lesen, dass dadurch der Heilige Geist kräftig in unserem Herzen wirken kann. Dazu sollen wir uns zur Gemeinde halten, wo wir uns gegenseitig in Liebe zur rechten Erkenntnis des Willen Gottes helfen und auch ermahnen können.

 

Klare Regel und Richtschnur für unser Leben sind die 10 Gebote mit den Mahnungen der Propheten und den Worten Jesu und seiner Apostel. Darum kann ein Christ nie Handlungen gutheißen oder rechtfertigen, die dem klaren, unmittelbaren Sinn ihrer Worte zuwiderlaufen. So sind und bleiben Lüge, Betrug, eigenmächtige Gewalttätigkeit, Sexualität außerhalb der Ehe, Homosexualität, Abtreibung, Tötung und Selbsttötung grobe Sünden! Sie können und dürfen nicht mit den Umständen und Verhältnissen der Zeit und Gesellschaft gerechtfertigt werden. Gottes Wille kann und darf nicht mit dem Hinweis auf eine angebliche Zeitgebundenheit der Gebote aufgehoben oder relativiert werden. Wenn das Theologen tun, dann sind sie falsche Propheten, vor denen uns Christus nachdrücklich warnt. Der Inhalt des göttlichen Gesetzes – das Moralgesetz – gilt bis zum Jüngsten Tag. Nur das äußerliche Zeremonialgesetz des Alten Testaments für das Volk Israel ist mit Jesus Christus erfüllt und für uns gegenstandslos geworden.

 

Jesus Christus spricht (Mt. 5, 17): „Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis das es alles geschehe.“

 

Es gibt jedoch immer wieder Situationen im täglichen Leben, in der wir vor Entscheidungen gestellt und zu Handlungen gefordert werden, für die wir keine so klaren, eindeutigen Gottesworte haben. Hier gilt es, unter Gebet und Nachsinnen über einzelne Gottesworte eine Antwort Gottes auf unsere Frage im Herzen wahrzunehmen. Dabei müssen wir wachsam und nüchtern sein, dass uns nicht sündige und egoistische Gedanken, Wünsche oder unzuverlässige Gefühle etwas vorgaukeln und so Gottes Willen verfälschen oder im Herzen ersticken. Manchmal werden wir auch meinen, keine Antwort bekommen zu haben und Gottes Willen nicht unmittelbar erkennen zu können. Dann dürfen wir aber Gott als unserem Vater vertrauen, dass er uns hilft, wenn wir nach einer Prüfung nach bestem Wissen und Gewissen schließlich entscheiden und handeln. Es ist kein Ausweg, dann keine Entscheidung zu treffen, denn keine Entscheidung hat auch die Auswirkung einer Entscheidung. Und man kann durch keine Entscheidung genauso schuldig werden, wie durch eine falsche Entscheidung. Da ist es ein großer Trost, dass wir unter der Vergebung und Gnade Christi leben.

 

Bei der Frage nach Gottes Willen können uns auch Mitchristen helfen. Sie können uns aber niemals Entscheidungen und damit Verantwortung für unser Tun abnehmen. Mit solcher Hilfe zum Erkennen des Willens Gottes im persönlichen Leben befasst sich die theologische Disziplin der Ethik. Die christliche Ethik soll aufzeigen, welche Gottesworte der Christ in bestimmten Lebenssituationen vor Entscheidungen und Handlungen kennen und berücksichtigen soll. So verstanden ist die Disziplin der christlichen Ethik eine echte Lebenshilfe. Häufig wird auch beispielhaft die Bewältigung einer bestimmten Lebenssituation in christlich verantwortbarer Handlungsweise aufgezeigt. Nur wiederholen sich diese Situationen nicht deckungsgleich! Meistens sind noch weitere oder andere Umstände mit zu berücksichtigen, die dann durchaus ein anderes Handeln gebieten können.

 

Nach evangelischem Verständnis ist ein verantwortbares Handeln eines Christen immer von den jeweiligen Umständen abhängig. Ethische Ratschläge und Hinweise dürfen danach weder vom Ratgeber noch vom Adressaten so verstanden werden, als werde hier ein buchstäbliches allgemeingültiges Gesetz für das tägliche Leben formuliert. Das Judentum und der Islam, stückweise auch der Katholizismus, gehen diesen Weg. Solche kasuistischen Ratschläge und Vorgaben würden uns wieder ein Joch auferlegen, wo wir doch zur Freiheit in Christus berufen sind. Darüber hinaus brächte es die Gefahr eines Rückfalls in die Gesetzlichkeit, Werkgerechtigkeit und unter die Gewissensherrschaft des Klerus. Die Freiheit eines Christen besteht gerade darin, dass er frei ist von menschlich ersonnenen ethischen Vorschriften und Vorgaben. Statt dessen bindet er sich an das Wort Gottes. Damit ist jeder Christ von einer ethischen Bevormundung frei, aber für sein Handeln vor Gott auch allein verantwortlich. Er kann sich auch nicht vor Gott entschuldigen, in dem er andere in die Mitverantwortung zieht, wie es Adam gegenüber Gott versucht hat (Mose 3, 12): „Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.“

 

Aus der dargelegten Sicht sind heute bedenkliche Tendenzen in den Stellungnahmen und der Verkündigung der Gliedkirchen der EKD festzustellen. Auf der einen Seite werden klare ethische Maßstäbe aus dem Wort Gottes negiert und relativiert, auf der anderen Seite wird eine bestimmte Denkrichtung und ein bestimmtes Verhalten geradezu gesetzlich verpflichtend gemacht.

Ein wahrer Christ könne politisch nur sozialistisch-links und grün-alternativ stehen, habe sexual-ethisch offen und politisch-korrekt zu sein. Dass ein Christ Atomkraftgegner sein muss erscheint selbstverständlich und bis vor einigen Jahren musste man auch Pazifist sein. Das Letztere hat sich geändert, als man selbst Regierungsverantwortung hatte. Geistlich unverantwortlich ist es, wenn diese politischen Fragen in einseitiger Weise und nahezu parteipolitisch auf die Kanzel gebracht werden! Dazu hat die Kirche kein Mandat. Politisch bürgerlich-konservative Christen stehen innerkirchlich unter einem dauernden ethischen Rechtfertigungsdruck. Etliche von ihnen haben sich verabschiedet, zumindest von einer aktiven Mitarbeit.

 

Es wird der Tatsache nicht hinreichend Rechnung getragen, dass es auf etliche Fragen des öffentlichen Lebens und der Politik keine detailliert verbindliche christliche Antwort und Handlungweise gibt. Dies gilt in Wirtschafts-, Energie-, Währungs- und Finanzfragen und in Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik und insgesamt für politische Wahlen und Parteizugehörigkeit. In diesen Bereichen besteht für einen Christen ein großer Entscheidungs- und Gestaltungsraum, abhängig von der persönichen Wertung und einem Ermessen der Zweckmäßigkeit, Machbarkeit, Gerechtigkeit und sozialer Verantwortung. Da kann, wird und darf es unter Christen unterschiedliche Ansichten und Handlungsweisen geben, solange sie sich ihrer Verantwortung vor Gott und ihren Nächsten bewusst sind und bleiben. Deshalb darf ein Christ einem anderen nicht sein Christ-sein absprechen wollen, weil dieser innerhalb des vor Gott zu verantwortenden Handlungsspielraums zu anderen politischen Ansichten und Handlungen kommt. Das hat Kirche in ihrer Verkündigung und in ihren Gremien entgegen aller Einseitigkeit und Parteilichkeit deutlich zu machen.

 

Christliches Handeln bedeutet, sich allein von der Liebe zu Gott und dem Nächsten leiten zu lassen und nicht von Egoismus, Eigennutz und Eigenwillen. Einer soll des anderen Diener sein ( Mt. 20, 25-27; Joh. 13, 5-15). Bei unserem Handeln in dieser Welt müssen wir immer folgendes wissen und berücksichtigen:

 

1.

Unser Handeln muss vor Gott und dem Nächsten verantwortbar sein. So ist es nicht zu verantworten, wenn jemand, ohne im Besitz von entsprechenden Kenntnissen und Fähigkeiten zu sein, freiwillig für oder an anderen handelt. Solcher Dilettantismus wird oft aus Geltungs- und Herrschsucht, aus einem vorurteilsbelasteten ideologischen Weltbild  oder auch aus einer vermeintlich bewussten moralischen Haltung heraus, geübt. Den Letzteren muss gesagt werden, dass allein die gute Absicht nicht genügt. Mangelnde Kenntnisse und Fähigkeiten des Handelnden richten Schaden an, zumindest erhöhen sie das Risiko. Bevor man jedoch fahrlässig und risikobehaftet handelt, soll man solche Aufgaben und Ämter nicht freiwillig übernehmen, selbst wenn sie einem persönlich noch so schmeicheln sollten.

 

2.

Unser Handeln, auch wenn es im Einzelfall noch so richtig und gerecht erscheint, stellt doch immer nur etwas Unvollkommenes und Vorläufiges dar (z.B. im Umweltschutz, im medizinischen Bereich, in der Gesellschaftspolitik). Es gibt keine absolute und endgültige Heilung dieser Welt, auch nicht in Teilbereichen. Das Handeln kann immer nur Linderung oder Provisorium sein. Diese Erkenntnis soll nicht zur Passivität verleiten, aber uns den wahren Stellenwert unseres Handelns in der Welt bewusst machen.

 

3.

Das Reden und Handeln eines Christen entspringt nicht immer nur dem des wiedergeborenen Gläubigen, sondern seinen Worten und Taten wird auch mehr oder weniger Sünde untergemischt sein. Deshalb wir ein Christ vor Gott bußfertig und demütig und auch in der Welt selbstkritisch mit sich sein müssen.

 

4.

Eine pauschale Anklage bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder Berufsstände oder des ganzen Gesellschaftssystems lassen ein überhebliches Pharisäertum erkennen. An den wirklich beklagenswerten Mißständen in unserer Welt ist weder ein anonymes fehlerhaftes Gesellschaftssystem noch eine besonders verderbte Gruppe von Menschen schuld, sondern es liegt im Wesen der gefallenen Welt. Es ist der sündige Mensch schlechthin. Wir alle, jeder von uns, ist in seinem Herzen auch eigensüchtig, brutal, käuflich, skrupellos, tyrannisch, hartherzig, überheblich usw. Würden wir in entsprechenden Positionen und Ämtern sitzen und diesen Regungen des Herzens nicht kraft des heiligen Geistes immer wieder wehren, dann würden wir nicht anders als die Kritisierten handeln. Ja, wo nehmen wir die Gewissheit her, dass wir diesen Regungen des sündigen Herzens niemals nachgeben würden? Und selbst wenn wir gegen die speziellen Versuchungen gefeit wären, wie sieht es in unseren anderen Lebensbereichen aus? Wir sind nicht generell besser als die, denen solche Verfehlungen vorgehalten werden. Deshalb bezieht ein demütiger, bußfertiger Mensch den göttlichen Gesetzesanspruch zuerst mal auf seine Person. Das Gleichnis Jesu vom Pharisäer und Zöllner soll uns dazu eine Mahnung sein (Lk. 18, 11-14). So wie der Pharisäer damals betete: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner,“ so spricht auch mancher heute in seinem Herzen: „Gott sei Dank, ich bin nicht so wie die Banker, die Politiker, die Journalisten, die Prominenten, die Arbeitgeber, die Millionäre...

 

 

Detlef Löhde

Christliche Ethik.pdf
Adobe Acrobat Dokument 82.0 KB